Unglaublich und irre. EP-Vizepräsident Rainer Wieland verweigert meinen “Zweitantrag” auf Zugang zum Rechtsgutachten des Handelsausschuss (INTA) zu ACTA. Er bestätigt die Argumente von Klaus Welle, die mir so lächerlich erschienen, dass ich überhaupt einen Zweitantrag zum Dokument gestellt habe. Dass nämlich die Offenlegung eines Rechtsgutachtens (SJ-0501/11) zur Interpretation eines bereits unterzeichneten Abkommens ACTA die Ratifizierung beeinträchtigen könne, und folglich Beziehungen mit externen Unterzeichnerstaaten. Deshalb muss das geheim bleiben.
Der Witz wird ja noch viel köstlicher: Vor Weihnachten bereits hat der INTA Ausschuss beschlossen das Dokument offen zugänglich zu machen, und Abgeordnete haben es zirkulieren lassen. Danach erst später kam die negative Antwort von Klaus Welle, zu der ich dann einen “Zweitantrag” stellte, und mir Klaus Welle im Sinne der “günstigen Auslegung” die Möglichkeit zu einem zweiten Zweitantrag eröffnete. Mal gucken ob ich jetzt noch beim EUGH Klage erhebe oder mich beim EU Bürgerbeauftragten beschwere um allgemeinen Zugang zu dem Dokument zu erhalten.
Sinnvoll wäre es, denn die Argumente sind irre. Ich bin der Auffassung, dass Rechtsgutachten zu Rechtsfragen allgemeiner Natur grundsätzlich offengelegt werden sollten. Das Argument, nach der sich das berühmte TURCO-Urteil nur auf Legislativvorhaben aber nicht auf Rechtsgutachten über die Ratifizierbarkeit internationaler Abkommen mit Rechtswirkung beziehe, das sollte doch eigentlich der EUGH mal unter die Lupe nehmen. EuGH, lohnt sich das? Was kostet das? Feedback an mich von alten Hasen erwünscht.
Addendum: Das gesuchte Dokument ist das Rechtsgutachten SJ-0501/11 und Kollegen haben mich darauf hingewiesen, dass ich evtl. INTA und JURI durcheinander gebracht haben kann. Es gibt noch ein anderes SJ-0661/11. Heute in der Pressekonferenz haben die Abgeordneten ja wenn ich mich recht erinnere sogar auf die Inhalte der Gutachten Bezug genommen. Nun wird wieder Geheimniskrämerei betrieben statt die Rechtsfragen offen zu erörtern. Ich habe z.B. bis heute nicht verstanden auf welcher Rechtsgrundlage die EU-Kommission Geheimhaltungsvereinbarungen schliesst oder wie das mit dem “Mixed Agreement” genau funktioniert.
Ich erinnere mich an das erste Stakeholder-Treffen, ich war da, wo die Kommission ihre Pläne mit ACTA vorstellte, was mir wie ein Perpetuum Mobile des EU-Rechts vorkam. Ein Mitarbeiter aus dem Parlament fragte, ob es ein Verhandlungsmandat gebe, ja sagte Devigne, das wurde schon vor seit 2 Monaten im Rat abgestimmt. Soviel zum Thema “Information des Parlaments”… Das Parlament hat damals 2008 im Susta-Bericht richtig gefordert, alles offen zu legen. Bis heute ist das nicht geschehen. Mit einer ganz langsamen Lernkurve und viele Anfragen haben die Parlamentarier schließlich herausgefunden, dass ACTA ihre Kompetenzen aus Lissabon bei der Strafrechtsharmonisierung umgeht. Das ist alles sehr tricky. Darüber sollte man eine möglichst breite Debatte unter Europarechtlern führen. Zwei Anwälte, drei Meinungen ist normal. Die sollen aber auf den Tisch. Das SJ-0661/11 sagt übrigens, dass vieles europarechtlich unproblematisch sei. Das sind Argumente zu objektiven rechtlichen Sachverhalten, die diskutiert werden sollen.
Add EUGH: Möglichkeit habe ich erwähnt, weil es interessantes Case Law schaffen könnte, eine Art Turco+. Jeder Richter am EUGH versteht, dass er – wenn er die Rechtskonformität eines Abkommens mit den Verträgen beurteilen soll – keine Rücksicht darauf nehmen darf, ob die Auffassung des Gerichts anderen Staaten behagt oder die Ratifizierung stört. Jeder Richter versteht, dass man zu so allgemeinen Sachverhalten eine offene Rechtsdebatte führen muss.
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