Der Patentanwalt Falk Metzler von VisaePatentes macht sich seine Gedanken um die “erweiterte Zusammenarbeit” für das Europäische “Einheitspatent”. In einem Beitrag spricht er die Alicante-Lösung, also die Frage an, welche Rolle das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (OHIM) in Alicante spielen soll, das bereits Markenamt für die Gemeinschaft ist. Die mangelnde Bereitschaft der Deutschen als Treiber des Gesetzgebungsverfahren für ein Gemeinschaftspatentsystem OHIM eine Rolle zuzuerkennen ist wesentlich für die jüngste hartnäckige spanische Opposition zu einem echten Gemeinschaftspatent. An der Stelle des Gemeinschaftspatents soll nun eine “erweiterte Zusammenarbeit” vorgesehen werden, die nach mindestens 50 Jahren Diskussion um ein Gemeinschaftpatent im Schnellspurt angenommen werden soll. Der Alicante-Ansatz ist bislang nie offen erwogen worden, zeigt aber auf eine architektonische Schieflage des Patentsystems in Europa.
Übersehen werden in der Debatte die materiellen Anreize der involvierten Akteure, vor allem der Patent- und Markenämter, und das strukturelle Hauptproblem der Zweigleisigkeit des EU Rechtsrahmens auf der einen Seite und einer autonomen internationalen Vertragsorganisation, der EPO in München, auf der anderen Seite. Es herrscht wenig öffentliche Transparenz über die tatsächlichen Anreizmängel, die den mangelnden Fortschritt bei einem Gemeinschaftspatentsystem über Jahrzehnte erklären. Die Öffentlichkeit, auch die Fachöffentlichkeit wird mit Chimären wie der Sprachenfrage abgespeist, an denen üblicherweise ein Übereinkommen formell scheitert. Ein strukturelles Governanzproblem ist beispielsweise, dass — während der EU-Rechtsrahmen sich horizontal fortentwickelt und integriert — eine Migration der EPO in den EU-Rechtsrahmen kompliziert ist und das Gravitationsfeld der EPO sämtliche Initiativen im EU-Rechtsrahmen erdrückt. Der Erfolg von NATO bzw. EPO ist der strukturelle Fluch für eine effiziente EU-Verteidigungs- bzw. Patentordnung für die Mitgliedstaaten. Die Unterschiede beginnen bereits, wie stolze Kommissionsmitarbeiter betonen, beim strengen Concours, der Aufnahmeprüfung für Mitarbeiter der Kommission. Man denke ferner an die Grundrechtecharta, Arbeitsbestimmungen für den Stab, die Möglichkeiten europaparlamentarischer Anfragen, die Heterogenität der Mitarbeiter, oder die Anwendung der fortschrittlichen Transparenzregeln der EU. All diese Bestimmungen der EU gelten bei der EPO nicht, nicht einmal das nationale Recht. Die Alicante-Lösung ist sehr bestechend, da sie “technisch” sauber ist, und Reibung zwischen den beiden institutionellen Sphären durch eine klare Trennung vermeidet und die horizontale Integration bringt.
Zukünftig wird das Patentrecht intensiv mit Standardisierung, Kartellrecht und Industriepolitik abgestimmt werden müssen. Wenn harmonisiertes materielles Patentrecht im EU-Rechtsrahmen fehlt, oder gar verhindert wird aufgrund institutioneller Egoismen aus München (der EPO), bringt sich die EU um dessen Integrationspotentiale. Das exakt ist die Stärke des EU-Rechtsrahmens, die horizontale Integration verschiedener Bereiche. Ein reformfähiges Patentsystem realisiert sich im EU-Rechtsrahmen, ein autonomes technokratisches Patentsystem im EPO-Rahmen. Man muss da nicht so drastisch sein, wie der Alberto Barrionuevo, der als Provokation vorschlug die EPO abzuschaffen. Theoretisch stellt sich die Frage natürlich für die “EPO.org”. Die Frage wie man langfristig die EPO in den EU-Rechtsrahmen migriert wurde bereits vor 20 Jahren intensiv debattiert. Die Gründungsväter der EPO haben sich dazu prominent geäußert. Die Alicante-Lösung neueren Datums besticht aufgrund ihrer rechtlichen Eleganz.
Die Vermutung liegt nahe, dass Alicante keine Ambition habe das Gemeinschaftspatent selbst zu verwalten. Das mag sein. Die Frage der Kontrolle ist eine rein formale. Die vielen Konflikte und Reibungen zwischen nationalen Patentämtern und EPO ließen sich auflösen, wenn die Aufgaben im Prüfungsprozess zertifiziert und ausgeschrieben werden. Im Alicante-Modell einer virtuellen Patentorganisation wird eine Privatisierung der Prüfung durch kommerzielle Dienstleister denkbar. Bereits heute sind Patentanwälte lediglich ein externer freiberuflicher Arm der Patentämter. Mit den Forderungen nach behördlicher Verschlankung und Bewältigung des Prüfstaus sind monolithische Behörden unzeitgemäß geworden. Das rekonfigurierbare Alicante-Modell könnte der OAMI eine besondere Qualitätsdifferenzierung ermöglichen durch die unsichtbare Hand des Marktes. Einer Qualität und Binnenmarkttauglichkeit, auf die wir noch weitere 50 Jahre warten dürften.
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