Diese Woche stand ich wie so viele ein wenig unter dem Schock des Kony2012 Videos, perfider und wirkmächtiger Propaganda, die am Glauben in die gesellschaftliche Nützlichkeit elektronischer Meinungsbildung für das Projekt Aufklärung nagte wie schon zuvor die 911-Verschwörungstheoretiker. Begeistert bin ich zum Wochenausklang vom CSUNET In Freiheit und Fairness, 2. Positionspapier (2012) von 16. März. Denn es ist erfrischend anders. Vieles davon ist Jargon, aber es ist ein Jargon, der die Schutzbedürfnisse des Bürgers im Netz in einer Weise betont, die den Bürger in das Zentrum stellt.
Viel zu lange wurde die Debatte um Netzfreiheiten und Datenschutz in den Kontext anarchistischer Staatsparanoia gestellt, wozu sich das altbackene Debattenritual um Freiheit vs. Sicherheit gesellte, in der jeder konservative Sicherheitspolitiker mit seinem 40 Jahren alten Sermon reüssieren konnte. Sicherheitsbedürfnisse des Bürgers wurden in einer Weise ausgespielt, die aus Angst vor Terrorismus oder dem Schutz der Kinder etwas zynisch Kapital schlugen. Ich denke hier vor allen an die angedachten Netzsperren als vordergründig einleuchtendes Mittel zum Kampf gegen Kinderpornographie im Netz, die aus netzarchitektonischer Sicht bekanntlich fatal sind, und in Brüssel in zynischer Art und Weise lobbyistisch eingesteuert wurden, aus viel profaneren Interessenlagen heraus.
Man mag vieles im CSUNET Positionpapier kritisieren und belächeln wollen, aber ich erinnere mich gut wie schwer es netzpolitische Themen hatten, als ich mich zuerst damit beschäftigte. Die Netzkultur war stärker von der kalifornischen Spielart eines progressiven Libertarianism dominiert. Allgemeinpolitische Relevanz damals Fehlanzeige. Die westdeutsche neue Linke einschliesslich der Grünen hatte noch den Geist der Maschinenstürmer zwischen Ökofundamentalismus und Technikfolgenabschätzung, die der Computertechnik eine ablehnende Haltung entgegen brachten, in der Sozialdemokratie etablierte sich der gewerkschaftsnahe Abgeordnete Jörg Tauss als einsamer Advokat der Netzpolitik, der nach dem Verlust von Mandat und selbstverschuldeter Ruinierung seines Ruf mittlerweile zum Groupie der Piratenpartei mutiert ist, die CDU zeigte sich als Spielball der Telekommunikationsunternehmen und Konzerne, in der Spitzenpolitiker sich mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Datenautobahn trollen liessen, oder was von amerikanischen Pickups und dem Neuen Markt schwadronierten. In jüngster Zeit ließen sich einige noch bereitwillig den Begriff “Bundestrojaner” als Narrenkappe aufsetzen.
Immerhin, die schwer falsifizierbare Medienklufthypothese und das Pädagogenlobbying für Medienkompetenz findet seine späten Echos im CSUNET Papier, damals noch paternalistischer aber allgemeinpolitisch als Sozialpolitik anschlussfähig. Den Datenschutz empfand ich als eine Art Verschwörung der Behörden zur Verhinderung von Dienstleistungsfreundlichkeit für den Bürger, als Schutz von Ressortinteressen. “Volkszählung 84 stoppen” hing ein Aufkleber mit Retrocharme an der Klotür in der Uni.
Die klassisch ordnungsliberalen Themen wie Standardoffenheit für unseren Zugang zu den Schnittstellen (bei gleichbleibender Nachtwächterignoranz der staatlichen Regulatoren) verblassen angesichts der Plattformindifferenz und der weitgehenden Durchsetzung offener Systeme am Markt, während Datenclouds und Soziale Netzwerke uns in die schöne neue Welt der Postprivatheit führen. Die Kritik an der Volkszählung wirkt für die Kinder von 84 wohl als lächerliche Seeligkeit, aber sie hat wertvolle Institutionen in unserem Lande geschaffen. Mit den jüngsten Vorschlägen der Kommissarin V. Reding zum Datenschutz wird nun Europa ein wenig “deutscher” werden, wenn es gelingt diese Interessen der Bürger gegen die wirtschaftliche Macht der Sozialen Medien Plattformen, Werbeunternehmen und ihren Suchmaschinen und die Datensammelwut unserer transatlantischen Nachbarn zu behaupten. Für den fragilen Erfolg dieses Versuchs werden bürgerliche Narrative benötigt, die das Sicherheitsbedürfnis der Bürger verteidigen und ein Selbstbewusstsein des Staates als Verteidiger unserer Datensouveränität einfordern.
Da wo das Papier in steile Diskurse zurückfällt, macht es das auf eine Art und Weise, die so plakativ ist, das man das Gefühl hat, die Autoren haben richtig viel Spaß gehabt: “Das Internet bietet weltweite Kommunikationsmöglichkeiten und prägt unser alltägliches Leben. Aber eben wegen dieser Realität ist das Internet zugleich Tatort, Vertriebskanal für illegale Inhalte und immer wieder selbst Angriffsziel.” – Das sind natürlich knallige Formulierungen, welche die Debatte anheizen. Danach dann süffisant: “Auch gewisse Formen des „Cyberwar“ oder „Cyberterrorismus“ werden diskutiert, wenngleich hier zum Teil belastbare empirische Erkenntnisse fehlen.” und weitere Abschwächung.
Ich freue mich auf die Polemik auf das Papier, dem die Autoren Brotkrümmel zuwerfen. Originell blitzt es hier und da:
“Die soziale Funktion der Gefällt-mir-Komplimente, der Demokratisierungsprozess durch besseren Informationszugang aller Bevölkerungsschichten und deren Beteiligungsmöglichkeiten oder die Wertschöpfung durch Wissensteilung bringen die Werte unserer Verfassung erst richtig zur Geltung.”
Das Gefällt-mir.