Jetzt bin ich schon eine Weile zurück aus Berlin. Die RE:PUBLICA 12 war ein Erlebnis. Ich besuche viele Konferenzen aber selten wird diese Qualität erreicht. Dabei ging so viel schief, das nicht schief gehen sollte. WLAN gab es während der ganzen 3 Tage RE:PUBLICA 12 nicht. Wer “sozial” sein wollte, der musste einen anderen Anbieter nutzen als das Netz am Orte. Ich habe zwischendrin einen Router von Telecomix benutzt mit Kabel, um ein paar Tweets abzusetzen und ein paar Bilder zu posten. Trotzdem war die Diskonnektivität eine besondere Note. Das gönn ich mir inzwischen auch gerne, wenn mich das Internet vom wirklich wichtigen ablenkt, nämlich mit interessanten Geistern mich realweltlich auszutauschen. Eher schwach besucht war mein Workshop für das Rootcamp.EU Projekt, denn ein Blogger im Irokesenschnitt lobotomierte zeitgleich die Besucher, AKVORRAT hielt eine Sondersitzung, und der Track war im Offline-Programm nicht gut verzeichnet, aber auch das machte mir nichts, denn manchmal macht es nicht die Masse. Ich habe viele Teilnehmer für unser Rootcamp.EU Projekt begeistern können unter der Leitfrage: Wie können wir das demokratische Defizit abbauen und ein Europa der Bürger schaffen?
Was also war so fantastisch? Ich denke, erst einmal, die Teilnehmer der Veranstaltung und ihre ungeheure Offenheit. Sandra Mamitzsch hat wunderbar den RE:UNITE Track zusammen gestellt. Stefan Marsiske stellte da all die Komponenten von seinem parltrack Projekt vor, geballte Software-Lösungsunterstützung für die in der Brüsselblase verirrten, ein wenig die Zuhörer überfordernd, denen leichtere Kost zugemutet wurde. Leider möchte er nicht, dass das Video davon online geht, aber Stef hat große Pläne, sogar eine eigene Foundation. Eben Moglens Keynote habe ich ausgelassen, der war mir schon auf der Wizard of OS zu flach mit seinem Freiheits-Rhabarber. Jillian C. York erzählte von Zensur in der arabischen Frühlingswelt, auch das war mir etwas zu oberflächlich.
EU-Kommissarin Neelie Kroes trat auf unbekanntes Terrain. Kroes laß ihre Rede von Papier ab, das sie auf der Bühne hin und her tänzelnd umklammerte. Wunderbar fand ich ihre untergegangene Ankündigung eine europäische Initiative in ihrem Portfolio zur Interoperabilität vorzulegen, sowie ihre gewohnt balanzierte Sicht zur Netzfreiheit. Neelie Kroes hatte eine delikate Message, nämlich, wir hören Euch mit ACTA aber nun sei kein weitere Sorge mehr nötig, sie ginge davon aus, dass ACTA abglehnt werde. Das ist eine gewaltige Protokollverletzung, denn bei der Kommission sprechen alle Kommissare immer mit einer Stimme. Kommissar De Gucht wäre wohl nicht begeistert. Lakonisch bemerkte sie, dass die Kollegen sie in Brüssel gewiss zurückpfeifen mögen, und die Power-Granny scherzte sie erwarte keine dritte Amtszeit für sich. Nein, das war kein Versehen, diese Message hatte sie geplant. Eigentlich ging es bei ihrer Rede um Netzfreiheit und mehrere Personen bemerkten, dass Kroes kein Wort zu KT verlor.
Rick Falkwinge, der Gründer der schwedischen Piraten (den ich schon mal aus einem niederländischen Kloster befreite) erklärte sein Organisationsmodell der Trennung von Squads mit einigen willkürlich wirkenden Zahlen, ab denen es sich lohne eine Gruppe zu forken. Seine Argumentation zu Organisationsmodellen erinnerte mich ein wenig an die romantische Phase der europäischen Faschismustheoretiker, einen Gedanken, den ich dann doch lieber für mich behielt. Referenten der Amadeu Antonio Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung erklärten die bizarre Welt des europäischen Rechtsextremismus im sozialen Internet, und die Tarnkappen der Fanatiker.
Am Stand der Deutschen Welle erfuhr ich, dass die Deutsche Welle einmal den RIAS Berlin übernommen hat. Das erklärt so manches, zum Beispiel die ungeheure Qualität. Am erfolgreichsten online angenommen werden die Sprachangebote. Die ARD Kollegin erklärte mir die Depublizizierungsdreistufentests. Depublizierung. Jede Tagesschausendung wird archiviert? Denkste, sagt die ARD, das ginge ja nicht unter diesen Regeln, nur einige Sendungen. Man müsse ja depublizieren, dazu habe man sich mit dem Staatsvertrag und den ewig meandernden Streit mit den Verlegern verpflichtet. Neu für mich auch Mode-Blogs und Die EUROS, das habe ich bislang übersehen. Jetzt gibt es auch ein Logo für Menschenrechte, irgendwo zwischen Friedenstaube und Hand, ich habe es mal an mein Netbook gepappt.
Alpha-MEP Marietje Schaake fragte ich nach ihren Strategien gegen Burnout, sie lachte das herzlich weg. Meine Kollegen von der Digitalen Gesellschaft präsentierten ihre hervorragende Basis-Kampagnenarbeit für digitale Rechte in Europa. Glynn Moody (diesmal ACTA) und Helen Dabinshire (Access Info) hätte ich gerne noch gesprochen, auch Jeremy Zimmermann von Quadrature habe ich nur kurz am ersten Tag getroffen. Den Vortrag von Ron Patz habe ich verpasst, aber er soll gesagt haben, die EU Bloggerszene sei sehr technisch. Wunderbar meinen Kollegen Stephan Uhlmann im FFII Vorstand mal wieder realweltlich zu treffen. Leo Findeisen stellte mir Fluxus vor und seine Arbeit für das Wiener Experiment, eine Art basisdemokratische Kunstbudgetallokation, die sicherliche Schule machen sollte, wenn die Kunst eine Legitimation in der interessierten Öffentlichkeit haben soll und genreübergreifende Debatten stimulieren. Eine toller Ansatz zur Entfilzung der kanonisierten Förderkunst und zur Genese einer offenen Szene.
Über die Entwicklungen bei den Makerbots gab es eine Präsentation mit einem gleich am Anhieb verworfenen Benjamin-Titel Der Alltagsgegenstand im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Ich fragte mich, warum man nicht CNC-Fräsen und Spritzguss favorisierte, wenn es um kostengünstige Produktion von Plastik ging. Bei den Makerbots scheint der Weg das Ziel zu sein, einen zusammengehackten Makerbot weiter zu entwickeln, zu reparieren, zum Laufen zu bringen. Das Erzeugnis ist Nebensache. Es ist wohl hauptsächlich der Coolness-Faktor eine solche Technologie zu haben, von der man wunderschön Bilder machen kann. Prima DIY Hobby. Leider habe ich dafür kaum Zeit.
Positive Brüssel-Erfahrung machte der CCC-Recke Florian Walther zum Hohlmeier Bericht zu der Sicherheit von Informationssystemen. Der Ralf Bendrath stellte die Offenheit der Berichterstatterin der CSU heraus. Das Rezept: Haftung soll Software-Hersteller zu mehr Ernsthaftigkeit bei der Sicherheit veranlassen. Die Denkweise verstehe ich, das kann ich nachvollziehen, obwohl ich ganz anderer Meinung bin. Nämlich, Risiken für Software-Entwicklung zu minimieren. Ob Trivialpatente auf Software oder Haftungsrisiken, das belastet die Entwicklung mit schwer kalkulierbaren Risiken.
Wo gibt es sonst eine Konferenz, bei der Teilnehmer freiwillig nach Abschluss des Tagesprogramm bis spät in die Nacht auf dem Hof ausharren?
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