Mir ist gerade aufgefallen, dass ich bei meinen Beiträgen immer Primärdokumente “abkübele”. Das ist genau der Sinn und Zweck. Natürlich darf man auch journalistisch schreiben, dazu greift man ein gängiges Schema auf, das die Leser wohlfühlig stimmt, zum Beispiel auf Carta der Klassiker:
“Die Digitalisierung der Gesellschaft hat in Deutschland einen schweren Stand. Wo immer sich der Fortschritt zeigt, stellt man sich ihm mit bemerkenswerter Energie in den Weg. In den 1990er Jahren und noch lange Zeit über das Jahr 2000 hinaus galt das Internet weithin als ungefährliches Nischenphänomen. E-Commerce war etwas für unverbesserliche Phantasten und das mobile Internet schien Lichtjahre entfernt.”
Wie geht’s weiter? Ja, genau: in Amerika ist alles besser, da kauft Google irgendein seltsames Startup.
Das Problem an dem Zitat oben ist, dass wir das alles schon mal gehört haben, und zwar vor 2000. Es ist der Jammerton D, der Ruf der zu spät gekommenen, die bewundert auf alles starren, was in den Staaten besser liefe. Was grad passt, Servicementalität, Arbeitsmarktflexibilität, you name it, passt schon.
Es ist eine Art negativ-patriotischer Kulturzweckpessimismus:
Die Digitalisierung der Gesellschaft hat in Deutschland einen schweren Stand.
Na gut, die anderen Schemen sind natürlich “wir haben’s erfunden, die anderen machen Geld damit.” und so weiter. Es spricht der Zukurzgekommene. Überall digitalisiert sich alles, nur nicht bei uns, mich erinnert es an den Mr. Pief, den englischen Kollegen des Piefke aus Plitsch und Plum von Wilhelm Busch.
. Der führt einen sehr nützlichen Spruch für die Internauten im Munde:
»Warum soll ich nicht beim Gehen« –
Sprach er – »in die Ferne sehen?
Schön ist es auch anderswo,
Und hier bin ich sowieso.«
Oder, geht es denn nicht auch positiv und konkret? Welche Potenziale und Handlungsoptionen bestehen bei uns? Wie kann man die nutzen. Wie bitte wird man diese nervigen Sermon der zu Späth gekommenen los? Ganz genau, wie hiess das bei Lothar Späth, da gab es diesen dämlichen pickup-Scherz, der Deutsche mache darüber eine Plane:
Also: Nehmen wir an, der DaimlerChrysler-Konzern käme heute zu dem Ergebnis, seine Pick-ups nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa zu bauen. Nebenbei: Sie wissen, dass der
Pick-up dieser kleine Lastwagen ist, den die Amerikaner so lieben – vor allem die Mittelständler. Da wirft man alles auf die offene Ladefläche, was man in Deutschland ja so nicht macht: Wir spannen immer eine Plane drüber, denn es geht den Nachbarn schließlich nichts an, was wir da im Auto befördern.
Und wissen sie was? Da lacht der ganze Saal. Die Leute sind glücklich, dem Affen ward Zucker gegeben. Darum gab es diesen Punkt in der Standard-Rede von Späth. Wir lieben Elch- und Pisateste, wenn sie unsere Schadenfreude in eigener Sache befriedigen. Das macht am meisten Eindruck, das will der Leser und Zuhörer mit nach Hause nehmen. Dieses Selbstmitleid.
Man müsste mal dieses Bild von Späth genau tiefenpsychologisch analysieren. Die Plane als Metapher der Unfreiheit und Gebundenheit. Wo ist da eigentlich der Scherz, in diesem “wir” Konstrukt? Was ist das für ein “wir”, das er sich da bastelt? Wer mag den Ausweg weisen?
Wäre da nicht der feste Glaube, dass da einer eine Nummer schlauer ist, der Zugang zu anderen Sphären hat, der gläubige Blick des Schäfchens ist auf ihn gerichtet. Der kennt das Internet wie seine Westentasche, der weiss wie man die Wirtschaft saniert, der führt unser Kamel durch die Servicewüste. So endet es natürlich auch bei Matthias Schwenk auf Carta.info:
Wenn die Politiker nicht selbst darauf kommen, müssen ihnen die Bürger den Weg weisen, denn wir sind das Volk und wir bilden die digitale Gesellschaft.
So einfach darf es sich der machen, der alte Erzählschemata bedient. Herrlich, fehlt nur noch das Indianerehrenwort.
Wollen wir übrigens jetzt das Flottenwettrüsten der Piefkes mit den Mr. Piefs starten, das fände ich eine gute Idee, Deutschlands Zukunft liegt nämlich auf dem Meer, von dem wir einst an Land gekrabbelt sind? Hier bitte den Scheck unterschreiben.
Read Full Post »