Die Süddeutsche erklärt Wolf Schneider zum “Sprachpapst” (ich darf nicht mitreden als Protestant), der zu dem Netzvolk spricht. Ganz traurig findet er, dass es Blogger gibt, die gar nicht an den Leser denken.
Das ist aber gar kein Problem. Zeitungen füllen begrenzten Platz mit “aktuellen” und für den Leser “relevanten” Inhalten. Viele Menschen halten etwas elektronisch fest, machen sich Notizen, schreiben Tagebuch. Die Relevanz und Aktualität ist daher gar kein Kriterium für sie. Ich habe mein eines Blog immer als so eine Art Infohalde für das Festhalten unwichtiger Dinge benutzt, ob da nun Personen tatsächlich etwas lesen, war mir eigentlich egal. Ich konnte es ja auch gar nicht verfolgen.
Über Relevanz entscheidet der Leser. Und da ist Schneider auf dem Holzpfad, weil er Papier gefressen hat. Die Publikationen der Zeitungsverlage schaffen die Fiktion einer durchschnittlichen Relevanz, einer durchschnittlichen Klarheit für ihre Zielgruppe. Publikationen entwickeln ihre eigene Sprache, die an den “Durchschnittsleser” angepasst ist. Genau das ist auch Schneiders Forderung.
Möglicherweise sind seine Annahmen “falsch”. Wie sonst lässt sich erklären, dass Videos minderer Qualität, die ausgeflippte beleibte Kinder zeigen, ein Millionenpublikum erreichen? In klassischen Medien hätte dieser “user-generated content” keine Chance.
Manche Leute finden es interessant, dass andere Menschen die Zeitung lesen. Denn wir wissen nicht, was sie uns damit sagen, aber sie sagen uns damit zum Beispiel welche Zeitung sie lesen. Oder dass sie Kaffee trinken. Und ich finde am Video-Blogger Schneider sein Auftreten und seine Sprache interessant. So wie nicht der Witz von Erich Mielke als solcher begeistert, sondern wie die Persönlichkeit dieses Herrn sich in seinem Witzereissen darstellt. Sehr ähnlich faszinierend sind für mich Schneiders Sprachschablonen. Unsere Mitmenschen haben nämlich nicht unbedingt Ziele beim Schreiben, die mit den Berufspflichten des Journalisten, der für Geld schreibt, überschneiden. Leser und Zuschauer sind auch nicht durchschnittlich. Ein anderer Zuschauer mag sich über des Schneiders Kleiderlein erfreuen, so wie mich seine altbackenen Schablonen irgendwie erfreuen.
Bei Schneider fällt mir auf, dass es immer schwieriger wird in klassischen Medien zwischen Rolle, Inszenierung und Persönlichkeit zu unterscheiden. Mit der Monotonie des “bla, bla, bla” sollte man doch Schluss machen!
Das ist ja nun putzig: Wenn man Wolf Schneiders Blog über die Blogger anhört und dann diesen Kommentar von arebentisch liest, dann weiß man doch gleich, wovon Schneider spricht! Und was Erich Mielke da zu suchen hat, bleibt auch dem aufmerksamsten Leser verborgen. Kleine Hasstirade? Warum? Hat Ihnen Schneider mal auf den Schlips getreten? Selbst seine ärgsten Feinde kämen nie auf die Idee, ihn mit “bla-bla-bla” in Verbindung zu bringen. Alles in allem sorgt er in der deutschen Journaille für Qualitäts-Journalismus. Und die Journaille weiß das.
Nö. Es gibt so etwas wie einen Altersstil eines Dichters; und es gibt so etwas wie einen Stillehrerstil, der sich treu bleibt über die Generationen.
Es mangelt Schneider an Reflektion über seine eigene Rolle und seine Praktiken. Etwa darüber, dass die meisten Blogger keine Journalisten sein wollen. Etwa darüber, dass die viele Leser sich für ganz andere Dinge interessieren als der gemeine Journalist annehmen muss. Und darüber, dass die Werte des Mediums durch das Format diktiert sind.
Seine journalistische Werterziehung oder sagen wir Bespiegelung mag gewiss ihre Schüler finden, die Geschmack an seiner paternalistischen Haltung haben.
Mielke ist ein Beispiel für eine Sprachmaske, bei der uns nicht das Mitgeteilte interessiert, sondern die Person sich durch das Mitgeteilte darstellt.
Auch Ulbricht ist eine Sprachmaske. Ulbricht findet, mit dem “je,je,je” sollte man Schluß machen. Es ist eine sehr ähnliche Haltung, die aus Schneider spricht, wenn er Empfehlungen gibt, was man sein lassen sollte, nämlich gewissermaßen das inhaltsarme “bla,bla,bla”, das “niemand lesen möchte”. Wenn es niemand liest, muss es aber auch niemand lesen.
“Es ist dringend zu unterscheiden zwischen nützlichen, abscheulichen oder einfach nur traurigen Blogs, die kein Mensch jemals lesen möchte.”
Dazu:
1. Was Menschen lesen möchten, ist Ihnen selbst zu überlassen (normativer Individualismus I)
2. Warum Autoren etwas verschriftlichen, hat nichts mit den engstirnigen Berufszwängen des klassischen Journalisten, sondern auch mit ihren privaten Interessen zu tun (normativer Individualismus II)
3. Journalisten sind Mittler, sie schreiben für Geld und bedienen Lesererwartungen und die Zwänge ihres Mediums. Diese Zwänge internalisieren sie, machen sie sich zu eigen.
4. Es gibt andere Räume des Gesprächs jenseits der Zeitungen, wo es mich interessiert, wie es der Katze des Nachbarn geht, dass ein Bekannter jetzt auch Zeitung liest und gern Kaffee trinkt und sich langweilt.
5. Das Papier im Netz ist nicht knapp. Es wird auch nichts “aktuell” im Netz (vgl. die Versuche des G. Grass) und über “Relevanz” entscheidet der Leser oder sein Aggregator-Dienst. Die journalistische Ökonomie der Zeitung passt nicht auf ein anderes Medium.
Fazit: Schneider tue es in Rom den Römern gleich.
In Ordnung: Machen Sie mit Ihrem selbstbespiegelnden Sprachschwulst ruhig weiter. Ihnen ist wohler, und andere
kommen nicht zum Lesen vor lauter Gähnen – gähnen ist gesund.
Ich schreibe immer in der Sprache, die ich selbst gerne lesen möchte.
Wenn ich für jemanden schreibe, ist das eine ganz andere Situation, dann bin ich sein Berichtsknecht. Zum Beispiel müssen Inhalte erklärt werden, bei denen ich ein Vorverständnis habe.
Ob Leser “gähnen” ist ihr Problem. Sie sind vielleicht der falsche Leser. Sie haben ja auch die Kritik an W. Schneider nicht verstanden, und den Bezug. Ich hätte es ja ahnen können:
“Selbst seine ärgsten Feinde kämen nie auf die Idee, ihn mit “bla-bla-bla” in Verbindung zu bringen. ”
Mündiges Lesen ist eine wichtige Kulturtechnik. Da scheint es ganz überflüssig, es noch einmal zu erklären, wie ich es getan habe. Für mich sind die Verborgenheiten des “aufmerksamsten Lesers” klar und eindeutig.
[…] Meinen Eindruck gab es bereits hier. […]